Die Diagnose: Ein Weg zur Selbsterkenntnis
Der Oktober 2024 markierte für mich einen physischen Wendepunkt, der unweigerlich zu einer tiefgreifenden psychologischen Neubewertung führte. Ein Herzinfarkt und ein Schlaganfall erzwangen nicht nur eine stationäre Behandlung, sondern auch eine umfassende diagnostische Abklärung meiner mentalen Verfassung. Was als medizinische Notwendigkeit begann, entwickelte sich zu einer schmerzhaften, aber unerlässlichen Reise in die Tiefen meiner eigenen Psyche, deren Ergebnisse mein Selbstverständnis grundlegend veränderten.
Die offizielle Diagnostik erfolgte in der Psychiatrischen Institutsambulanz / Psychosomatischen Hochschulambulanz eines Universitätsklinikums in Süddeutschland, federführend unter anderem durch Dr. M. Schmidt (Pseudonym) und das behandelnde Ärzteteam. Die Ergebnisse, festgehalten in einem Bericht vom Februar 2025, bestätigten ein komplexes psychisches Bild.
Als Hauptdiagnosen wurden festgestellt:
- Borderline-Persönlichkeitsstörung (F60.3)
- Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode (F33.1)
- Binge-Eating-Störung (F50.8)
Die Bestätigung der Borderline-Persönlichkeitsstörung erfolgte durch umfassende klinische Interviews, darunter das Strukturierte Klinische Interview für DSM-5 Persönlichkeitsstörungen (SCID-5-PD), und einen Screening-Fragebogen (IPDE).
Eine Vordiagnose, die Alkoholabhängigkeit (F10.2), löste in mir eine besondere Irritation und Notwendigkeit zur tiefen Reflexion aus. Mein Alkoholkonsum erfolgte nie täglich oder kontinuierlich, sondern gezielt während depressiver Phasen, um einen Zustand zu erreichen, den ich rückblickend als ‚Ort Alpha‘ bezeichne. Dieser ‚Ort Alpha‘ ist ein Ort reinen Schmerzes, der schließlich die Sehnsucht nach dem Tod auslöste und zu drei Suizidversuchen führte. Ich vermute heute, dass ich diese extremen Tiefpunkte ohne den Alkoholkonsum möglicherweise nicht erreicht hätte.
Unabhängig von meinem persönlichen Verständnis dieser Diagnose habe ich erfahren, dass sie ein gesellschaftliches Stigma mit sich bringen kann. Dies führte beispielsweise dazu, dass mir eine Therapie in der Psychosomatischen Klinik verwehrt wurde und ich eine Veränderung in der Herangehensweise meiner Hausärztin wahrnahm. Dieses Erlebnis unterstreicht die Notwendigkeit, Diagnosen kritisch zu hinterfragen und das eigene Erleben mit medizinischen Klassifikationen abzugleichen.
Meine eigene Auseinandersetzung mit diesen Diagnosen ist untrennbar mit meiner Familiengeschichte verbunden. Aufgewachsen als „schwarzes Schaf“ in einem Umfeld, das von der Psychose meines Bruders und der narzisstischen Störung meiner Mutter geprägt war, lernte ich früh Verhaltensmuster wie Dissoziation, Ambivalenz und Projektion kennen. Die schmerzhafte Erkenntnis, dass ich diese Mechanismen selbst anwende, führte zu einer tiefgreifenden Selbstinfragestellung. Um aus einer subjektiven Meinung eine objektive zu machen, begann ich, meine eigenen Interaktionen akribisch zu analysieren, darunter über 4000 Nachrichtenprotokolle mit Nora. Durch Übungen der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) und systemische Therapie wurde mir das Ausmaß meiner Verstrickung erst wirklich klar. Erst vor wenigen Tagen realisierte ich, dass ich in der Beziehung zu Nora unbewusst romantische Absichten hegte und wie ungerecht mein Verhalten dabei war.
Diese Erkenntnis schmerzt unglaublich und löst eine immense kognitive Dissonanz in mir aus. Doch es schmälert nicht Noras‘ Anteil. Vielmehr sind es die „Kinder, die wir in uns tragen“, die sich perfekt ergänzen und verzweifelt versuchen, sich das zu geben, was sie einst nicht hatten. Diese Dynamik führt unweigerlich zu Kurzschlüssen: Sie zieht sich zurück, ich versuche zu klammern und noch mehr zu geben, bis ich kollabiere und in die Tiefe der Depression zurückfalle. Trotz dieses Schmerzes, an den ich seit meiner Kindheit gewöhnt bin, bin ich in der Lage, Nora trotz ihrer emotionalen Brutalität zu lieben, da ich erkenne, dass auch sie ein Opfer ihrer Kindheit ist.
Es schmerzt unheimlich, dass sie sich dem nicht stellen will, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass ich es tun muss.
Wie kommt man da raus?
Vielleicht gar nicht. Vielleicht anders. Vielleicht geht es nicht darum, zu entkommen. Sondern zu erkennen, dass auch diese Spaltung zu mir gehört.
Wenn man einen geliebten Menschen verloren hat, vergeht dieser Schmerz nie. Aber man lernt, mit ihm zu leben.
Genauso stelle ich mir die Erkenntnis nach einer Therapie vor: zu akzeptieren, dass diese Spaltung Teil von mir ist – und dass ich in Frieden mit ihr leben kann, ohne diese ständige Erschöpfung.
Vielleicht ist das kein Happy End. Aber es ist ein Anfang, mit dem ich leben kann.